Handgemacht aus der Hansestadt: Traditionelle Handwerksberufe in Hamburg

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„Auf jeden Fall irgendwas mit Medien“ – die gefühlte Standardantwort der heutigen Jugend darauf, was sie später einmal arbeiten wollen. Auf die Nachfrage, was genau denn Medien seien, kann nicht konkret geantwortet werden, denn die Medienbranche ist noch jung, Berufsbezeichnungen ändern sich gefühlt im Stundentakt und die Nachfrage von gestern ist heute nichts mehr Wert. Anders verhält es sich dagegen mit den traditionellen Handwerksberufen. Tischler, Maurer, Buchbinder oder Hufschmied – die Liste ist lang und länger an traditionellen Handwerksberufen und deren Berufsbezeichnung steht gestern wie heute noch. Doch auch wenn wir alle hinter Mauern mit einem Dach über dem Kopf aus dem Fenster schauen, sind viele Handwerksberufe heute nicht mehr interessant genug. Aber warum ist das so?

Geschichte des traditionellen Handwerks in Hamburg

Die Uhr gut 200 Jahre zurückgedreht, stelle man sich vor, man stünde auf der Reeperbahn in Hamburg. Da fehlte jedes Anzeichen dessen, was die Reeperbahn heute ist, nämlich ein Teil von Hamburgs Rotlichtmilieu. Denn 1791 wurden auf der heutigen Reeperbahn, die damals noch „Reepschläger Bahn“ hieß, Schiffstaue hergestellt. Dafür brauchte es eine lange und gerade Bahn, die mindestens 300 Meter lang ist. Reepschläger waren damals eben jene, die diese Schiffstaue hergestellt haben. Angrenzend an die Reepschläger Bahn lag damals wie heute die Seilerstraße. Dort wurden Seile hergestellt, dafür brauchte man aber nicht mehr als eine 50 Meter lange Gerade, somit reichte die Länge einer Seitenstraße vollkommen aus. Sowohl die Berufe Reepschläger und Seiler gehören heute der Vergangenheit an, nicht nur in Hamburg. Dennoch gibt es nach wie vor eine Reeperbahn in diversen norddeutschen Hafenstädten, z.B. Kiel, Stade, Buxtehude oder auch im dänischen Aalborg.

Schiffstaue Handwerk

Auch auf der Reeperbahn bei Hamburg wurden vor 200 Jahren solche Schiffstaue gefertigt

Ohne Handwerk geht’s nicht

Man hört es ja immer wieder, „die Handwerksberufe sind vom Aussterben bedroht“. Doch zunächst sollte man erst einmal klären: Was bedeutet denn Handwerk? Im Groben ist es eine Dienstleistungsbranche, die erst auf Nachfrage fertigt. Kein Maurer baut ein Haus ohne entsprechenden Auftrag. Kein Friseur schneidet Haare, ohne jemanden zu haben, der danach fragt. Man muss gar nicht groß darüber nachdenken, um festzustellen, dass dies alles Berufe sind, die es immer geben wird. Sicher verändert sich das Berufsbild, zum Positiven wie Negativen.

Das Karussell dreht sich

Ein Beispiel am Beruf des Tischlers: Ein Beruf, der Hochkonjunktur in den 1970er Jahren feierte. Als alle Welt Möbel in Eiche Rustikal kaufte, die dann aber auch mindestens 20 bis 30 Jahre am selben Fleck standen. Dann kam eine schwedische Möbelhauskette, die hier und da eine Tischlerei alt aussehen ließ.

Die Nachfrage nach handgefertigten und qualitativ hochwertigen Möbeln ging deutlich zurück. Noch nie konnte man so günstig die eigenen vier Wände ausstatten und gefielen einem die Möbelstücke nicht mehr, dann hat man eben billig neue nachgekauft. Einziges Problem bei Produkten, die auf den ersten Blick gut aussehen und dann auch noch günstig sind: Gefühlt jeder greift zu. Die Individualität blieb auf der Strecke. Hat man eine Wohnung oder ein Haus betreten, sprudelte es nur so vor Namen. Denn die blau-gelbe Möbelkette gibt ihren Möbeln Namen, der Wiedererkennungswert steigt dadurch immens. Die Auftragsbücher blieben Anfang der 2000er Jahre leer bei Tischlern. Der Otto-Normal-Verbraucher kaufte billig ein und nur noch selten ließ man sich ein Möbelstück bauen.

Heute schreit die Gesellschaft wieder nach Individualität. Irgendwann hatte man sich satt gesehen an den immer gleichen Möbelstücken, die in jedem zweiten Haushalt mindestens einmal vorkamen. Ob man sich nun in der Wohnung des Nachbarn oder seiner eigenen aufhielt, fiel ja kaum noch auf, standen doch überall die gleichen Möbelstücke. Die Stimmung kippt, heute will jeder wieder ein oder gar mehrere individuelle Möbelstücke haben. Demnach sind die Auftragsbücher voll, das Handwerk boomt. Dennoch: Die Zahl der unbesetzten Lehrstellen gibt Anlass zur Sorge.

Traditionelles Handwerk in Hamburg in Zahlen

 Allein in der Hansestadt Hamburg gibt es nach wie vor noch 113 Handwerksberufe zu erlernen – eine Mischung aus traditionellem und modernen Handwerksberufen. Ersteres sind Berufe wie Bäcker, Dachdecker oder Elektroniker und zu Letzterem zählen Orthopädiemechaniker oder Kälteanlagenbauer. Die Lehrstellen aus den aufgezählten Branchen sind zahlreich – seit 2011 steigen die Zahlen jedes Jahr stetig an. Die Anzahl der Bewerber ist dagegen niedrig.

Wohingegen Tischlereien, Augenoptiker wie Damenschneider ein Luxusproblem haben, denn immer mehr junge Menschen wollen diese Berufe erlernen. Wenn es denn überhaupt eine Erklärung dafür gibt, warum die Nachfrage an Schneidereien und Tischlereien so groß ist, dann vielleicht, weil man dort seiner Kreativität freien Lauf lassen kann.

Ein weiterer Blick auf die Zahlen zeigt: Es gibt heute 2.000 Handwerksunternehmen mehr in Hamburgals 1990. Dafür ist die Anzahl der Beschäftigten gesunken und der Umsatz deutlich gestiegen.  Die Handwerkskammer Hamburg veröffentlicht jedes Jahr zwei Konjunkturberichte. Anfang des Jahres dazu, was die Unternehmen sich vom Geschäftsjahr erhoffen, und am Ende, wie es denn wirklich war. Schaut man sich den Bericht für 2018 an, zeigt sich die Mehrzahl der Unternehmen optimistisch das Jahr mit einem positiven Endergebnis abzuschließen. Gute Aussichten, aber warum sind dann Stellen in traditionelle Handwerksberufen sowohl in Hamburg als auch deutschlandweit immer häufiger unbesetzt?

Handwerker Werkzeug

In der Hansestadt Hamburg können 113 verschiedene Handwerksberufe erlernt werden.

Auf Ursachenforschung

Sicherlich kann man sich darüber streiten, was die Gründe für den Rücklauf sind, aber ein paar lassen sich ziemlich sicher herleiten. Schaut man sich zum Beispiel die Landwirtschaft an, erkennt man schnell, dass häufig Söhne und Töchter die Betriebe fortführen. Irgendwie naheliegend, wenn man mit dem Betrieb von klein auf aufgewachsen ist. Selten entscheiden sich Stadtkinder dazu, Landwirt zu werden. Bei anderen Berufsgruppen wird dieses Phänomen ähnlich greifen. Bäckereien sind heute oft nur noch Ketten und keine einzelnen Familienbetriebe mehr. Ähnlich sieht es bei Augenoptiker und Co. aus. Die Verbindung der eigenen Kinder zu den Berufen brechen ab, wenn es nicht gerade das eigene Unternehmen ist.

Ein weiterer Grund könnte sein, dass immer weniger Kinder und Jugendliche einen Bezug zum „Selbermachen“ haben. Auch wenn YouTube voll mit Do it yourself-Tutorials ist, können immer weniger heranwachsende Männer einen Nagel in die Wand hauen. Studien dazu beweisen, Jugendliche aus der Stadt haben seltener eine Bohrmaschine in der Hand gehabt als jene vom Land. Wo keine Berührungspunkte, da kann auch keine Liebe entstehen. Das ist unumstritten.

Handwerk im Wandel – Flüchtlinge und flexible Arbeitszeiten

Zu allen Gründen kommt noch der Ruf der Branche hinzu. Handwerksberufe sind als schlecht bezahlt verschrien und dazu sehr viel Arbeit, die körperlich nicht nur anstrengend ist, sondern auch über den acht Stunden-Tag hinausgeht. An dem Ruf arbeitet das Handwerk unentwegt. Auf die unbesetzten Lehrstellen wurde dahingehend reagiert, dass die zugezogenen Flüchtlinge jetzt Ausbildungsberufe erlernen. Im Handwerk sind allein 11.000 Flüchtlinge in Betrieben untergekommen. Auch die Bezahlung hat sich in vielen Betrieben verbessert. Jetzt heißt es noch an den konservativen Arbeitszeiten zu drehen. Denn wer die Leute von heute erreichen will, darf nicht mit Arbeitsbedingungen von gestern kommen. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Deutschen Handwerks (ZDH), ist jetzt in die Debatte um den acht Stunden-Tag eingestiegen. So sagte er der Rheinischen Post Anfang April 2018: „Das Handwerk erwartet von der neuen Bundesregierung eine Lockerung der gesetzlichen Regeln und, dass die Branche hofft, dass es flexiblere Arbeitszeiten geben wird.“ Weiter betont er, dass ein zu strenges Arbeitszeit-Korsett sowie unflexible arbeitsrechtliche Vorschriften der ganzen Wirtschaft nicht guttun würden.

Es ist Bewegung im traditionellen Handwerk. Man hat verstanden, dass man nicht umhinkommt, mit der Zeit zu gehen. Das wird sich irgendwann auszahlen.

Traditionelle Handwerksberufe Hamburg

Die Zukunft der traditionellen Handwerksberufe in Hamburg ist offen

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